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Slowfood Magazin 2015

Wildfleisch aus heimischen Revieren -  Eine besondere Form regionaler Wildvermarktung entwickelt sich in Ostfriesland

Fleisch aus der Massentierhaltung der industrialisierten Landwirtschaft, egal ob von Schweinen, Rindern oder Geflügel, kommt immer mehr ins Gerede. Und das, obwohl nach wie vor Milliardensummen aus Steuergeldern an die europäische Landwirtschaft fließen. Da dürfte man als Verbraucher eigentlich deutlich mehr ökologische Verantwortung in der Tierzucht aber auch in der Landwirtschaft insgesamt erwarten. Die Entwicklung hin zu immer größeren Ställen und immer mehr „Industrialisierung“ scheint unaufhaltsam. Aber es gibt Alternativen. Weniger Fleischkonsum ist die eine. Und dafür an den „Fleischtagen“ einen guten Braten aus nachhaltiger Landwirtschaft essen. 


Eine andere Möglichkeit ist der Verzehr von Wildfleisch aus heimischen Wäldern, Wiesen und Feldern. Und da tut sich etwas im hohen Norden. In Ostfriesland gibt es ein junges Unternehmen, „Der kleine Wilddieb“, das die Vermarktung von regionalem Fleisch von Hirsch, Reh, Wildschwein, Fasan und Hase organisiert. Unser Autor Joachim Mittelstaedt wohnt dort und hat sich umgesehen. 

Marco Scharf ist selbst Jäger. Und da gibt es natürlich gute Kontakte zu den Jagdkollegen. Seit Herbst 2013 hat er mit dem Aufkauf von ganzen Tieren begonnen und ist seitdem auch mit seinem kleinen Verkaufs-Anhänger auf den Märkten der Region unterwegs. Das Wild kauft der Geschäftsmann ausschließlich bei Jägern aus der Region. Er beschreibt sein maximales Einzugsgebiet mit einem Umkreis von 50 km. Mit einigen Forstämtern hat er Abnahme-Verträge geschlossen. 

Scharf beliefert inzwischen auch einige Restaurants in Ostfriesland. Und er hat Ende letzten Jahres einen Verkaufsladen eröffnet. Das ist eine besondere Geschichte.

 

Verkaufsladen auf dem Fehn

Der junge Unternehmer hat ein altes Fehnhaus, direkt am landschaftstypischen Kanal gelegen, gekauft. Das Gebäude, Jahrgang 1880, wurde von Grund auf liebevoll saniert und renoviert. So ist an der Kanalstrasse Süd im Fehnort Großefehn ein bauliches Kleinod zur regionalen Fleischvermarktung entstanden. Mit dem Haus verfügt „Der kleine Wilddieb“ jetzt über einen Verkaufsladen, eine Schlachterei mit Zerlege-Bereich und entsprechende Kühlräume. Ein Fleischermeister und mehrere Aushilfskräfte wurden eingestellt. Besonders im Sommer werde zunehmend Grillfleisch wie Steaks, Rippchen oder Bratwurst gekauft. Denn gegrilltes Wildfleisch ist sehr lecker. So bietet Marco Scharf mit seinem Team auch bei größeren Familienfesten und Veranstaltungen mit eigenem Grillwagen an, „Wild zu grillen“. Auch das Sortiment an Wurstwaren, Wildsalami und Schinken werde jetzt nach und nach ausgeweitet. Marco Scharf: „Mir ist klar, dass der Ausbau auch in Zukunft langsam erfolgen muss. Wir wollen Schritt für Schritt wachsen. Das macht dann auch viel mehr Spaß.“ 


Verzehr von Wildfleisch hält sich noch in Grenzen

Aber noch immer stehen viele Menschen dem Verzehr von Wildfleisch skeptisch gegenüber. So essen die Bundesbürger, statistisch gesehen, pro Jahr nur etwa 450 Gramm Wildfleisch. Das ist weniger als ein Prozent des gesamten Fleischkonsums. 

Wildfleisch ist sehr cholesterinarm und eiweißreich und, bis auf das Fleisch vom Wildschwein, besonders mager. Wildtiere ernähren sich von dem, was Wiesen, Wälder und Felder bieten. Hormone und Medikamente: Fehlanzeige. Mehr „Bio“ geht nicht. Allerdings kann das Fleisch von freilebenden Wildtieren nicht „bio-zertifiziert“ angeboten werden. Ausgewiesenes Bio-Wildfleisch stammt daher nicht von freilebenden Tieren sondern aus Gatterhaltung.  

Wild ist eine tolle Abwechslung auf dem Speiseplan. Natürlich ist nicht jede Wildart ganzjährig zu bekommen. Denn nicht nur Obst und Gemüse haben Saison. Das Bundesjagdgesetz legt die Jagdzeiten für jede Wildart genau fest.  

Inzwischen sind es über 100 Wildschweine und entsprechende Mengen an Reh- Dam- und Rotwild, im Jahr, die über den Laden und die Märkte verkauft werden. Kein Wunder, dass Scharf über die Anschaffung eines zweiten, größeren Verkaufswagens nachdenkt. Dann können noch mehr Wochenmärkte in der Umgebung angefahren werden.

In den letzten Jahren ist besonders der Bestand an Wildschweinen fast explosionsartig gestiegen. Das liegt zum einen an der industriellen Landwirtschaft mit großen Maiskulturen, die den Tieren optimale Deckung und Nahrung bieten, offenbar aber noch viel mehr am Klimawandel. Denn in ganz Europa fühlen sich Wildschweine wegen der wärmeren Winter inzwischen sauwohl. In der Jagdsaison 2012/2013 erlegten die Jäger in Deutschland nach Auskunft des „Deutschen Jagdverbandes“ 474000 Schweine.

Zusätzlich zu der Vermarktung von Wild bietet „Der kleine Wilddieb“ an seinen Verkaufsstellen auch Bio-Rindfleisch aus eigener Zucht an. Derzeit 24 Tiere, es sind robuste Schottische Hochlandrinder, werden in ganzjähriger extensiver Haltung auf einer großen, ungedüngten Weide mit kleinem Waldstück gehalten. Auch das liegt in unmittelbarer Nähe zum Verkaufsladen. Nur im Winter wird mit Heu und Grassilage zu gefüttert.


Wasser in den Wein

Ein wenig Wasser müsse man aber trotzdem in den Wein hineinschütten. Noch immer sind viele Wildschweine in Bayern auch fast 30 Jahre nach dem Atomunfall in Tschernobyl radioaktiv belastet. Wie das bayrische Umweltministerium auf eine Anfrage der Grünen mitteilte, werden die zulässigen Grenzwerte von 600 Becquerel pro Kilogramm auch nach dieser langen Zeit teilweise um mehr als das Zehnfache überschritten. In den 12 bayrischen Landkreisen, die 1986 am stärksten von der Tschernobyl-Wolke getroffen wurden, lagen 1332 Proben über dem Grenzwert. Das Fleisch durfte nicht verkauft werden. 


Öffnungszeiten des Ladens

Donnerstags von 16 – 19 Uhr

Freitags von 15 – 18 Uhr

Samstags von 9 – 12 Uhr

Kanalstraße Süd 19, 26629 Großefehn

www.kleiner-wilddieb.de


Folgende Märkte werden derzeit angefahren: 

Bauernmarkt Oldenburg an der Lambertikirche, Freitag 11 – 18 Uhr

Hundsmühler Markt in Oldenburg, Samstag, 8 – 13 Uhr

Wochenmarkt in Leer, Mittwoch, 7 – 13.30 Uhr

Oldenburger Wochenmarkt am Pferdemarkt, Donnerstag, 7 – 13.30 Uhr